Russland – Tschetschenien, Dagestan, Kalmückien

Ich stand mit dem voll gepackten Fahrrad und der staubigen Jacke vor dem Grenzposten. Einen Anblick den der Grenzbeamte auch nicht allzu oft gesehen hat. Ich wurde auf schlechtem englisch gefragt warum meine Jacke so dreckig ist und ich erzählte ihnen von dem Unfall der sich eine halbe Stunde zuvor ereignet hatte. Ich wurde in sein Büro gebeten und musste warten, danach wurden mir ein paar Fragen zu meinem Aufenthalt gestellt und schon bald durfte ich weiter fahren. Ich kam allerdings nicht weit da mein Schlauch wieder Luft verlor, weniger Meter später blieb ich stehen. Glücklicherweise wurde ich von einem Mann in seinem Transporter mitgenommen und er nahm mich die 25 Kilometer mit nach Vladikavkaz, meine erste Stadt in Russland. Mein Reifen wurde netterweise in einem Fahrradladen umsonst repariert und ich fuhr zu meinem Gastgeber und erkundete die Stadt.

Angekommen in Vladikavkaz

Vladikavkaz liegt in der Republik Nordossetien, ich blieb nur zwei Tage dort und fuhr dann in Richtung Osten weiter. Ich wollte nach Tschetschenien. Ich war damals noch zu jung um von dem Krieg in Tschetschenischen mitzubekommen, dies ist wahrscheinlich auch einer der Gründe gewesen weswegen ich mir keine Sorgen vor der Reise machte. Ganz anders hingegen das deutsche Auswärtige Amt dass mir ganz und gar davon abgeraten hat in die Regionen Tschetschenischen und Dagestan zu reisen. Diese Warnung sollte sich hinterher als Unsinn herausstellen.

Ich fuhr in Richtung Grozny, die Hauptstadt Tschetscheniens und beim überqueren der Grenze hatte ich meinen ersten Kontakt zu den Menschen. Die Grenzposten waren freundlich und interessiert an meiner Reise. Ich wurde herzlich willkommen geheißen und fuhr weiter. Die Republiken Tschetschenischen und Dagestan gehören dem sunnitischen Islam an und auf meinem Weg sah ich viele schöne Moscheen. Es mag an der Jahreszeit liegen, doch ich empfand die Landschaft zu meiner linken Seite als kahl und leer und auf der rechten Seite erhoben sich die Berge des Kaukasus. Kurz vor Grozny legte ich eine kleine Pause ein und ein Mann sprach mich an. Artur kam aus Grozny, lebte aber in Moskau. Er war geschäftlich in Grozny und fragte nach meiner Unternehmung. Nach meiner Schilderung lud er mich zum Abendessen ein und ich akzeptierte. Mein Fahrrad luden wir auf seinen riesigen Geländewagen und er nahm mich mit in eine abgelegene Hütte in einem Wald. Dort stand ein großes Haus mit hölzerner Fassade und einigen teuren Auto in der Einfahrt. Seine Freunde saßen schon am Tisch als ich dazu kam.

Wir verstanden uns alle gut und ich erzählte viele Geschichten von meiner Reise. Wir fuhren wieder zurück und ehe ich mich versah, buchte Artur ein Zimmer in einem Hotel für mich und ich konnte mich dort entspannen. Wir besuchten am nächsten Tag noch die Umgebung und ich fuhr in ein kleines Dorf in den kaukasischen Bergen. Zudem fuhren wir durch Grozny und ich hatte die Gelegenheit diese großartige Stadt zu besichtigen, kaum zu glauben dass 20 Jahre zuvor alles in Schutt und Asche lag.

Grenzposten zu Tschetschenischen
Das Zentrum in Grozny

Die Republik erlangte in den Wirren des Systemwechsel die Unabhängigkeit, wie viele weitere Länder auch. Doch nur wenige Jahre später eroberte Russland, unter Putins Führung, die Republik zurück und führte einen grausamen Krieg gegen Tschetschenien. (Den genauen Kriegsverlauf und die Hintergründe erfährt ihr hier).

Grozny und die Menschen faszinierten mich, eine Republik die mich total überraschte. Ich wurde überall willkommen geheißen und immer wieder auf einen Kaffee oder Tee eingeladen. Ich fand dort das „Haus für Jedermann“, ein schickes Hostel in dem Reisende für umsonst übernachten können. Der Besitzer kannte keiner, es gab nur jemanden der alles verwaltete.

Wenig später fuhr ich weiter in die Republik Dagestan.

Immer wieder hielten Autofahrer an um sich mit mir zu unterhalten und gaben mir etwas zu trinken oder kleine Snacks mit auf den Weg.

Eine Gastfreundschaft so wie ich sie bisher nur aus dem Iran kannte.

Ich fuhr nach Khasavyurt und traf mich mit meinem Gastgeber Gasan. Er stellte mich seiner Familie vor und die nächsten Tage nahm er mich mit auf eine Tour durch seine Stadt und wir fuhren zu der Schlucht in Dagestan. Sie ist die tiefste Schlucht in Russland und einer der tiefsten Schluchten der Welt. Es war ein unglaubliches Gefühl von oben in die Tiefe zu schauen, Adler flogen über uns hinweg und ich war tief beeindruckt.

Die Schlucht in Dagestan

So setzte ich meinen Weg fort in den Norden, in Richtung der Republik Kalmückien. Der Regen und der Wind erschwerten meine Reise und unterwegs wurde ich von einem freundlichen älteren Herren aufgenommen und konnte meine Reise am nächsten Tag fortsetzten.

In den Städten Kizlar und Kochubey fand ich jeweils einen Gastgeber und hatte eine interessante Erfahrung gemacht.

Meinem Finger ging es einigermaßen besser und nach einigen Tagen ging auch die Schwellung zurück. Doch leider entzündete sich mein Nagelbett und mein Gastgeber in Kochubey bemerkte dies. Auf die Frage ob wir einen Arzt besuchen sollten entgegnete ich ihm dass ich keinen Arzt brauche und wir fuhren zu dem Geburtstag seines Schwagers.

Auf dem Tisch stand bestes Essen und nach langer Zeit aß ich wieder Kartoffelsalat. Zudem gab es noch Wodka, Wein und Bier und ich amüsierte mich königlich. Mein Sitznachbar war das „Geburtstagskind“, stolze 69 Jahre alt ist er geworden. Plötzlich schob er das Essen beiseite, rief seine Frau und begutachtete meinen entzündeten Finger.

Da sich die Kommunikation oft als schwierig erwies, erfuhr ich erst später dass der gute Herr ein pensionierte Arzt gwesen ist. Am Tisch, neben dem Kartoffelsalat, reinigte er meinen Finger mit Wodka und mit einer Nadel stach er in den Nagel und ließ das Blut raus. Es war schmerzhaft und ich konnte mich einiger Schreie nicht verwehren, doch ohne Mitleid bohrte er weiter in den Nagel und nach wenigen Minuten hörte er dann auf. Der Wodka der eben noch zum desinfizieren benutzt wurde, trank ich nun. Er tat alles richtig und ich war ihm sehr dankbar und mit dieser Erfahrung im Gepäck, verließ ich Dagestan.

Die Operation am Essenstisch

Kalmückien ist eine leere Republik. Eine endlose Steppe zieht sich über mehrere hundert Kilometer hinweg und die Straße ist fast unbefahrbar. Mein Ziel war Elista, die Hauptstadt Kalmückiens. Die Einwohner sind Nachfahren mongolischer Einwanderer und haben auch den Buddhismus mitgebracht. In Elista steht der größte Buddhistische Tempel Europas und ich war in der glücklichen Lage dass meine Gastgeberin mich zum Gebet mitgenommen hat. So konnte ich die Zeremonie mit den Priestern mitverfolgen. Auch wenn ich kaum etwas verstand, war es eine einmalige Erfahrung für mich. Es war mein erster Kontakt mit dem Buddhismus und ich konnte es kaum abwarten mehr darüber zu lernen.

Die endlose Steppe
Der Tempel in Elista

Das Video zu dieser Tour könnt ihr euch hier ansehen.